Johann Wolfgang von Goethe
Während seiner Reise durch Italien (1786 - 1788) besuchte der Dichter Johann Wolfgang von Goethe auch die Stadt Venedig. Über seine Erlebnisse auf Reisen führte er ein Tagebuch. Somit ist es möglich, die einzelnen Stationen des Dichters, der diese Reise unter dem Pseudonym Johann Philipp Möller antrat, auch heute noch gut nachvollziehen zu können. Am 3. September 1786 brach er ohne Abschied von einer Kur in Karlsbad (Tschechien) auf. Nur sein Sekretär und vertrauter Diener Philipp Seidel war eingeweiht. Seinen Dienstherren, den Herzog von Weimar, hatte er nach dem letzten persönlichen Zusammensein in Karlsbad schriftlich um unbefristeten Urlaub gebeten. Am 28. September 1786 traf Goethe per Schiff über die Brenta anreisend in Venedig ein.
Kurzbiographie
Johann Wolfgang Goethe wurde am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren. Goethe stammte aus einer angesehenen bürgerlichen Familie. Er wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Sein Großvater war als Stadtschultheiß höchster Justizbeamter der Stadt Frankfurt, sein Vater Doktor der Rechte und kaiserlicher Rat. Er und seine Schwester Cornelia erfuhren eine aufwendige Ausbildung durch Hauslehrer. Dem Wunsch seines Vaters folgend studierte Goethe in Straßburg und Leipzig Rechtswissenschaft. Nach Abschluß seines Studiums war Goethe Rechtsanwalt in Frankfurt, aber ohne dass ihm seine Arbeit Spaß gemacht hätte. Gleichzeitig folgte er seiner Neigung zur Dichtkunst.
Mit dem Drama Götz von Berlichingen erzielte er einen frühen Erfolg und Anerkennung in der literarischen Welt. 1775 berief der junge Herzog Karl-August von Weimar Goethe als Minister an seine Residenz. Mit Goethes Reise nach Italien (1786 - 1788) begann seine "klassische" Periode. Bis ins höchste Alter - er starb am 22. März 1832 in Weimar im Alter von fast 83 Jahren - war Goethe von einer erstaunlichen Schaffenskraft. Seine Lebenserinnerungen schrieb er auf in seinem Werk "Dichtung und Wahrheit". Kurz vor seinem Tod vollendete er den 2. Teil des Dramas "Faust", das zur Weltliteratur gehört. Goethe war der berühmteste deutsche Dichter und einer der bekanntesten Dichter der Welt. Er gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten deutschsprachiger Dichtung.
Besuch in Venedig
"So stand es denn im Buche des Schicksals auf meinem Blatte geschrieben, daß ich 1786 den achtundzwanzigsten September, abends, nach unserer Uhr um fünfe, Venedig zum erstenmal, aus der Brenta in die Lagunen einfahrend, erblicken und bald darauf diese wunderbare Inselstadt, diese Biberrepublik betreten und besuchen sollte. So ist denn auch, Gott sei Dank, Venedig mir kein bloßes Wort mehr, kein hohler Name, der mich so oft, mich, den Todfeind von Wortschällen, geängstiget hat.
Als die erste Gondel an das Schiff anfuhr (es geschieht, um Passagiere, welche Eil' haben, geschwinder nach Venedig zu bringen), erinnerte ich mich eines frühen Kinderspielzeuges, an das ich vielleicht seit zwanzig Jahren nicht mehr gedacht hatte. Mein Vater besaß ein schönes mitgebrachtes Gondelmodell; er hielt es sehr wert, und mir ward es hoch angerechnet, wenn ich einmal damit spielen durfte. Die ersten Schnäbel von blankem Eisenblech, die schwarzen Gondelkäfige, alles grüßte mich wie eine alte Bekanntschaft, ich genoß einen langentbehrten freundlichen Jugendeindruck".
"Ich bin gut logiert in der »Königin von England«, nicht weit vom Markusplatze, und dies ist der größte Vorzug des Quartiers; meine Fenster gehen auf einen schmalen Kanal zwischen hohen Häusern, gleich unter mir eine einbogige Brücke und gegenüber ein schmales, belebtes Gäßchen. So wohne ich, und so werde ich eine Zeitlang bleiben, bis mein Paket für Deutschland fertig ist, und bis ich mich am Bilde dieser Stadt satt gesehen habe. Die Einsamkeit, nach der ich oft so sehnsuchtsvoll geseufzt, kann ich nun recht genießen; denn nirgends fühlt man sich einsamer als im Gewimmel, wo man sich allen ganz unbekannt durchdrängt. In Venedig kennt mich vielleicht nur ein Mensch, und der wird mir nicht gleich begegnen". [1]
Seinen ersten Aufenthalt auf dem Markusplatz beschreibt er so:
"Der große, schlangenförmig gewundene Kanal weicht keiner Straße in der Welt, dem Raum vor dem Markusplatze kann wohl nichts an die Seite gesetzt werden. Ich meine den großen Wasserspiegel, der diesseits von dem eigentlichen Venedig im halben Mond umfaßt wird. Über der Wasserfläche sieht man links die Insel St. Giorgio Maggiore, etwas weiter rechts die Giudecca und ihren Kanal, noch weiter rechts die Dogane und die Einfahrt in den Canal Grande, wo uns gleich ein paar ungeheure Marmortempel entgegenleuchten. Dies sind mit wenigen Zügen die Hauptgegenstände, die uns in die Augen fallen, wenn wir zwischen den zwei Säulen des Markusplatzes hervortreten. Die sämtlichen Aus- und Ansichten sind so oft in Kupfer gestochen, daß die Freunde davon sich gar leicht einen anschaulichen Begriff machen können".
29. September 1786
Einen Spaziergang nach dem Abendessen am Michaelstag schildert er wie folgt:
Den 29sten, Michaelistag, abends.
"Nach Tische eilte ich, mir erst einen Eindruck des Ganzen zu versichern, und warf mich ohne Begleiter, nur die Himmelsgegenden merkend, ins Labyrinth der Stadt, welche, obgleich durchaus von Kanälen und Kanälchen durchschnitten, durch Brücken und Brückchen wieder zusammenhängt. Die Enge und Gedrängtheit des Ganzen denkt man nicht, ohne es gesehen zu haben. Gewöhnlich kann man die Breite der Gasse mit ausgereckten Armen entweder ganz oder beinahe messen, in den engsten stößt man schon mit den Ellbogen an, wenn man die Hände in die Seite stemmt; es gibt wohl breitere, auch hie und da ein Plätzchen, verhältnismäßig aber kann alles enge genannt werden.
Ich fand leicht den großen Kanal und die Hauptbrücke Rialto; sie besteht aus einem einzigen Bogen von weißem Marmor. Von oben herunter ist es eine große Ansicht, der Kanal gesäet voll Schiffe, die alles Bedürfnis vom festen Lande herbeiführen und hier hauptsächlich anlegen und ausladen, dazwischen wimmelt es von Gondeln. Besonders heute, als am Michaelisfeste, gab es einen Anblick wunderschön lebendig; doch um diesen einigermaßen darzustellen, muß ich etwas weiter ausholen".
30. September 1786
Den 30. September.
"Sehr viele Häuserchen stehen unmittelbar in den Kanälen, doch gibt es hie und da schön gepflasterte Steindämme, auf denen man zwischen Wasser, Kirchen und Palästen gar angenehm hin und wider spaziert. Lustig und erfreulich ist der lange Steindamm an der nördlichen Seite, von welchem die Inseln, besonders Murano, das Venedig im kleinen, geschaut werden. Die Lagunen dazwischen sind von vielen Gondeln belebt".
Anmerkung: als Steindamm bezeichnet er die Fondamenta Nuove!
"Heute habe ich abermals meinen Begriff von Venedig erweitert, indem ich mir den Plan verschaffte. Als ich ihn einigermaßen studiert, bestieg ich den Markusturm, wo sich dem Auge ein einziges Schauspiel darstellt. Es war um Mittag und heller Sonnenschein, daß ich ohne Perspektiv Nähen und Fernen genau erkennen konnte. Die Flut bedeckte die Lagunen, und als ich den Blick nach dem sogenannten Lido wandte (es ist ein schmaler Erdstreif, der die Lagunen schließt), sah ich zum erstenmal das Meer und einige Segel darauf".
3. Oktober 1786
Als Bewunderer von Andrea Palladio durfte natürlich auch ein Besuch der Kirche Il Redentore auf der Insel Giudecca nicht fehlen:
Den 3. Oktober.
"Die Kirche Il Redentore, ein schönes, großes Werk von Palladio, die Fassade lobenswürdiger als die von St. Giorgio. Diese mehrmals in Kupfer gestochenen Werke müßte man vor sich sehen, um das Gesagte verdeutlichen zu können. Hier nur wenige Worte.
Palladio war durchaus von der Existenz der Alten durchdrungen und fühlte die Kleinheit und Enge seiner Zeit wie ein großer Mensch, der sich nicht hingeben, sondern das übrige soviel als möglich nach seinen edlen Begriffen umbilden will. Er war unzufrieden, wie ich aus gelinder Wendung seines Buches schließe, daß man bei christlichen Kirchen nach der Form der alten Basiliken zu bauen fortfahre, er suchte deshalb seine heiligen Gebäude der alten Tempelform zu nähern; daher entstanden gewisse Unschicklichkeiten, die mir bei Il Redentore glücklich beseitigt, bei St. Giorgio aber zu auffallend erscheinen. Volkmann sagt etwas davon, trifft aber den Nagel nicht auf den Kopf.
Inwendig ist Il Redentore gleichfalls köstlich, alles, auch die Zeichnung der Altäre, von Palladio; leider die Nischen, die mit Statuen ausgefüllt werden sollten, prangen mit flachen, ausgeschnittenen, gemalten Brettfiguren".
Abschied von Venedig
Venedig, den 14. Oktober, 2 Stunden in der Nacht.
"In den letzten Augenblicken meines Hierseins: denn es geht sogleich mit dem Kurierschiffe nach Ferrara. Ich verlasse Venedig gern; denn um mit Vergnügen und Nutzen zu bleiben, müßte ich andere Schritte tun, die außer meinem Plan liegen; auch verläßt jedermann nun diese Stadt und sucht seine Gärten und Besitzungen auf dem festen Lande. Ich habe indes gut aufgeladen und trage das reiche, sonderbare, einzige Bild mit mir fort". [1]
...vom Dichter besuchte Orte:
- Markusplatz (Sestiere San Marco)
- Canal Grande (Venedig)
- Schiffsbau im Arsenale (Sestiere Castello)
- Besuch der Gallerie dell'Accademia (Sestiere Dorsoduro)
- Rialtobrücke (Sestiere San Polo - San Marco)
- Dogenpalast (Sestiere San Marco)
- Markusbasilika (Sestiere San Marco)
- Campanile San Marco (Sestiere San Marco)
- Chiesa San Lazzaro dei Mendicanti (Sestiere Castello)
- Chiesa Il Redentore (Insel Giudecca)
Quellenangabe:
1.: Die Informationen zur Italienreise des Dichters Johann Wolfgang von Goethe, sein Besuch in Venedig, stammen aus Zeno.org- Meine Bibliothek und sind gemeinfrei.