Evangelisch-lutherische Kirche
Überblick
Die Evangelisch-lutherische Kirche in Venedig (Chiesa Luterana di Venezia) - gemeint ist hier das Gebäude - befindet sich im Sestiere Cannaregio am lebhaften Campo Santi Apostoli. Bei dem Kirchengebäude handelt es sich um ein von außen betrachtet eher unscheinbares Haus mit einem rosafarbenen Anstrich, das auch als Palazzo durchgehen würde. Das Eingangsportal im Erdgeschoss wird gekrönt von einem Architrav- zu beiden Seiten der Tür stehen zwei Pilaster. Links und rechts des Eingangs sind zwei vergitterte Fenster zu sehen. Im ersten Stock wird die Fassade von zwei Fenstern dominiert. Zwischen ihnen - direkt über dem Portal - befindet sich der sogenannte „steinerne Schutzengel", eine Arbeit des Bildhauers Enrico Merengo.
Die Evangelisch-lutherische Kirche in Venedig (Chiesa Luterana di Venezia) geht bis in die Reformationszeit zurück, wandelte sich aber unter dem Druck der Inquisition von einer italienischen reformatorischen Bewegung zu einer hermetisch abgeschlossenen Vereinigung oberdeutscher Fernkaufleute. Venedig war ein Zentrum des Buchdrucks, und deshalb wurden Martin Luthers Schriften schon sehr früh in der Lagunenstadt bekannt. 1520 wurden sie hier erstmals beschlagnahmt; 1548 wurden in der Druckerei Antonio Bruciolis „die Bücher ballenweise konfisziert und später öffentlich auf dem Rialtoplatz verbrannt.“ Aus den Akten der Inquisition sind auch Leser bekannt; ein Beispiel: „Die adelige Venezianerin Foscarina Venier (die Dichterin) und ihr Sohn Francesco hatten die Schriften von Martin Luther gelesen, libros et opera Martini Lutheri et aliorum hereticorum pluries legerunt, und mußten nun um Absolution bitten.“
In Venedig gab es ein humanistisches Milieu, in dem Luthers Anliegen von vielen geteilt wurden – ohne besondere Berufung auf die Person Luthers. So traf sich ein Kreis junger Adliger zur gemeinsamen Lektüre des griechischen Neuen Testaments. Viele Sympathisanten hatte Luther in der Niederlassung seines Ordens, dem Augustiner-Eremitenkloster mit der Kirche S. Stefano. Andrea Baura (Andrea da Ferrara), ein Mitglied des Konvents, predigte am Weihnachtstag 1520 vom Balkon des Palazzo Loredan zu einer Menge, die sich auf dem Campo S. Stefano versammelt hatte. Da er den Papst kritisierte, hielt man ihn allgemein für einen Lutheraner. Mit einem Brief, datiert auf den 13. Juni 1543, wandte sich Luther direkt an die Evangelischen in Venedig, Vincenza und Treviso. Die Adressaten waren Italiener. Entscheidend für die Zukunft dieser Gemeinde war, dass Luther ihnen keine politische Unterstützung, etwa durch den Schmalkaldischen Bund, vermitteln konnte.
Bis 1550 gelang es der Inquisition, alle evangelischen Netzwerke in Venedig zu zerschlagen. Viele flohen nach Deutschland oder in die Schweiz; einige, die blieben, wurden zu Märtyrern. Sie wurden als Ketzer in der Lagune ertränkt, wie 1556 der Franziskanerprovinzial Baldo Lupetino, 1562 der Franziskaner Bartolomeo Fonzi. Der Fondaco dei Tedeschi bot als ein deutscher Mikrokosmos den dort wohnenden Kaufleuten die Möglichkeit, auf ihre Art zu leben; das betraf auch Formen privater Frömmigkeit und gemeinsame Gottesdienste. Dabei setzten sich die oberdeutschen, lutherischen Kaufleute als dominante Fraktion durch, was sich an den Konflikten um den Kölner Handelsmann Abraham Spillieur zeigen lässt. Spillieur war eine prominente Gestalt in der reformierten Gemeinde Venedigs. Diese gründete sich 1647, musste ihre Gottesdienste aber in Privathäusern im Stadtgebiet feiern. Dadurch war es für die Inquisition relativ leicht, das reformierte Gemeindeleben zu unterdrücken; was auch geschah.
Evangelisch-lutherische Kirche
Die „dell' Confraternita dell Angela Custode“ (Bruderschaft zum Heiligen Schutzengel) hielt zunächst ihre Treffen in der nahestehenden Kirche Santi Apostoli ab. Am 13. Mai 1713 wird der Baumeister Andrea Tirali mit dem Entwurf und der Ausführung einer eigenen Scuola beauftragt. Tiralis Stil zeigt mit seinen klassischen Proportionen deutlich die Einflüsse Palladios. Das Gebäude wirkt besonders durch seine Schlichtheit. Für die venezianische Architektur recht ungewöhnlich sind die auf allen vier Außenwänden vorspringenden Gesimse, die die Stockwerke markieren. Das Fassadenportal hat wie auch die Fenster typische Verzierungen des Klassizismus. Über ihm befindet sich der steinerne Schutzengel, Namensgeber der Scuola. Er ist eine Arbeit des deutschen Bildhauers Heinrich Meyring, der in Venedig unter dem Namen Enrico Merengo bekannt war.
Das Gebäudeinnere ist sehr schlicht. Die Sala im Erdgeschoss ist geprägt von zwei korinthischen Säulen. An den Wänden befinden sich Grabplatten von Gemeindegliedern, die auf der Insel San Cristoforo della Pace begraben waren und die durch die Zerstörung des Friedhofs ihre Ruhestätte verloren hatten. Blickfang jedoch ist schön geschwungene Treppe, die zur Kirche führt. Der Kirchenraum ist durch seine Helligkeit und seine harmonischen Proportionen geprägt. Der Blick fällt auf das zentrale Altarbild von Sebastiano Ricci an der Stirnseite. Das Taufbecken stammt ursprünglich aus der Kirche Santa Maria Formosa und ist im Jahr 1811 von der Gemeinde zum Preis von 80 Lire erworben worden. Die Orgel von Wilhelm Sauer aus Frankfurt/Oder haben Kaiser Wilhelm II. und die Kaiserin Augsuta im Jahr 1896 gestiftet, ebenso die Altarbibel. Wilhelm Carl Friedrich Sauer (* 23. März 1831 in Schönbeck; † 9. April 1916 in Frankfurt (Oder)) war ein bedeutender Orgelbauer aus der Zeit der Romantik und Spätromantik.
Die „Scuola dell'Angelo Custode“ in Venedig, die 1713 nach einem Projekt von Andrea Tirali auf dem Platz „Campo Santi Apostoli“ erbaut wurde und seit 1813 als evangelisch-lutherische Kirche von Venedig (Chiesa Luterana di Venezia, auch bekannt als Chiesa Evangelica Alemanna) dient - eingebunden über Wikimedia Commons
Innenausstattung
Im Inneren der Kirche sind einige Bilder von bedeutenden Malern zu sehen. Das Votivbild von Sebastiano Ricci „Der Heilige Schutzengel“ gehört zum ursprünglichen Bestand der Scuola. Es wurde 1730 von Sebastiano Ricci (1659 - 1734) für das Gebäude geschaffen. Zu sehen ist ein Kind, das von einem Schutzengel aus den teuflischen Fängen eines Drachen gerettet wird. Oben auf den Wolken thront die Jungtrau Maria mit dem Jesuskind - umgeben von weiteren Engeln. Der Junge steht noch mit einem Fuß aut dem Schwanz der Schlange, links daneben der Teufel, der der entrissenen Beute wütend nachsieht.
Gemälde von Tizian
Das Gemälde „Der segnende Welterlöser“ ist ein Werk von dem großen venezianischen Maler Tiziano Vecellio, kurz Tizian genannt (ca. 1490 - 1576). Es stammt aus dem Fondaco dei Tedeschi, hier wurde das Werk 1551 in Auftrag gegeben. Es hing dort zuvor im Gemäldesaal. Als das Deutsche Haus 1806 von den deutschen Kaufleuten geräumt werden musste, überließ der Präfekt das Gemälde der evangelischen Gemeinde. Tizian wie auch Giorgione hatten die Fassade des Fondaco bemalt. Das Bild zeigt die lebensgroße Figur des Erlösers, der in der linken Hand eine gläserne Weltkugel hält, während er mit der rechten segnet. Der Kopf und die Haltung des Körpers ist gerade, die Blickrichtung etwas nach rechts. Besonders auffällig ist der Blick. Der damalige Archivar im Fondaco, G.B. Milesio, beschreibt das Bild mit Worten von Torquato Tasso:
„Die Sprache nur vermissest du am Bilde, und sie nicht mehr, schaust du der Augen Milde.“
Lucas Cranach - Martin Luther
Weiterhin interessant ist das Gemälde von Lucas Cranach - Martin Luther. Das Bild (Öl auf Holz) zeigt Martin Luther (1483 - 1546) in späteren Lebensjahren. Links von dem Kopfe Luthers ist zu lesen D.M.L. (Doktor Martin Luther) und darunter befindet sich das Malerzeichen des Lucas Cranach und seiner Söhne, die gebundene und geflügelte Schlange. Das Werk stammt aus Cranachs Werkstatt, von Lucas Cranach d.Ä. (1472 - 1553) oder seinem Sohn Lucas d.J. (1515 - 1586). Es ähnelt dem in der Weimarer Stadtkirche, das vom Vater begonnen und vom Sohn vollendet wurde. Aufgrund des Malerzeichens, das auf Cranachbildern nach 1537 auftritt, wird das Portrait auf etwa 1540 geschätzt. Wie das Bild in den Besitz der Gemeinde gekommen ist, ist unklar. Möglicherweise stammt es aus dem Nachlass eines früheren Gemeindemitgliedes. Nach einer anderen Überlegung hat der damalige Pfarrer in Venedig, Johann Dietrich Sprechet, das Bild von König Friedrich IV. von Dänemark geschenkt bekommen. Sein Siegel ist auf der Rückseite zu sehen. Der Seelsorger bekam 1709 den Titel eines Herzoglich Holsteinischen Hofrates anläßlich des königlichen Besuchs in Venedig verliehen.
...heutiges Kirchengebäude...
Per Dekret vom 5. Mai 1806 wurde die lutherische Kirche der katholischen gleichgestellt, gemäß dem Code Napoleon. Sie konnte von nun an als eigenes Rechtssubjekt auftreten, sah sich aber vielen Schikanen ausgesetzt. So wurde ihr Friedhof bei Erdarbeiten verwüstet. Nach Auflösung des Fondaco suchte die Gemeinde lange erfolglos ein Kirchengebäude; erst 1812 gelang es, das Gebäude der frommen Bruderschaft Scuola dell’ Angelo Custode anzumieten, später zu kaufen. Doch wurde der Haupteingang dauerhaft verschlossen; die Gottesdienstbesucher mussten ihre Kirche durch den seitlich versteckten Nebeneingang betreten. Ein Ende fanden diese Sonderregelungen mit dem Anschluss Venedigs an das Königreich Italien. König Vittorio Emanuele selbst erteilte anlässlich eines Venedigbesuchs den lutherischen Christen die Erlaubnis, ihre Kirche durch den Haupteingang zu betreten. [1]
Weitere Kirchen in Venedig:
- Kirche Christo Re (Insel Sant'Erasmo)
- Ex-Chiesa und Konvent Santa Teresa (Dorsoduro)
- Ex-Chiesa Santa Lucia (Cannaregio)
- Ex-Chiesa San Basilio (Dorsoduro)
- Ex-Chiesa di Santa Maria della Carità (Dorsoduro)
- Oratorio dei Crucifero (Cannaregio)
- Chiesa di San Bonaventura (Cannaregio)
- Ex-Chiesa di San Leonardo (Cannaregio)
- Kirche Santa Caterina (Insel Mazzorbo)
- Kirche Santa Maria Valverde (Insel Mazzorbo)
- Chiesa di San Zan Degolà (Santa Croce)
- Ex-Kloster Santa Chiara (Santa Croce)
- Chiesa San Giovanni Evangelista (San Polo)
- Chiesa dei Catecumeni (Dorsoduro)
- Chiesa Santa Maria dei Derelitti (Castello)
- Ex-Konvent Santo Sepolcro (Castello)
- Ex-Chiesa San Paterniano (San Marco)
- Ex-Chiesa di San Teodoro (San Marco)
- Ex-Chiesa Sant' Angelo degli Zoppi (San Marco)
- Kapelle Oratorio dell'Annunciata (San Marco)
- Ex-Chiesa di San Geminiano (San Marco)
- Ex-Chiesa San Basso (San Marco)
- Ex-Chiesa San Antonio di Castello (Castello)
- Chiesa Christo Re (Castello)
- Ex-Chiesa Santa Maria del Pianto (Castello)
- Kirchen auf der Insel Lido di Venezia
- Kirchen auf der Insel Pellestrina
Quellennachweis:
1.: Die Informationen zur Geschichte der Evangelisch-lutherische Kirche in Venedig im Sestiere Cannaregio basieren auf dem Artikel Evangelisch-lutherische Kirche in Venedig (Stand vom 24.05.2018) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und stehen unter der GNU-Lizenz [34 KB]
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